„Al Dschasira“ im Zwielicht
Sprachrohr bin Ladens oder einzig objektive Fernsehstation der Region?
Von unserer Korrespondentin
BIRGIT CERHA
Nikosia/MZ. „Stimme der Taliban“, beschimpfen westliche Medien die arabische Satellitenfernsehstation im Golfstaat Katar. „Al Dschasira“, so heißt es, bereite dem meist gesuchten Terrorchef Osama bin Laden eine Plattform für seine aufreizenden Botschaften an die Welt. Die Station ist die einzige, die aus Afghanistan berichten kann, seit sie dort im Vorjahr ein Büro eingerichtet hatte. Selbst das allmächtige amerikanische C'NN, das als einzige im Höhepunkt des Kuwait-Krieges vor fast elf Jahren in Bagdad filmen durfte, muss sich nun mit dem teuren Kauf von Berichten „Al Dschasiras“ begnügen.
„Al Dschasira“ ist Kummer und massiven Druck aus diversen Hauptstädten der Region gewohnt. Rund 450 offizielle Beschwerden über die Berichterstattung trafen seit der Gründung des Senders vor fünf Jahren in den Regierungsstuben Katars ein. Doch die Beamten des Emirs ließen die Schriftstücke in den Schubladen verschwinden. Nie, so betonen Vertreter der Fernsehredaktion, hätte sie der Herrscher irgendeinem Druck ausgesetzt. Allein dieses Faktum gibt den sich nach Demokratie und Meinungsfreiheit sehnenden Menschen der Region Hoffnung. In allen anderen arabischen Staaten werden die Medien bis heute einer scharfen Zensur unterworfen.
Kein Zweifel; „Al Dschasira“ hat in dieser Welt der Autokraten eine Medienrevolution vom Zaum gebrochen. Sie begann vor mehr als fünf Jahren. Bis dahin hatte Saudi-Arabien, nach Hegemonie über die arabische Welt strebend, mit Milliarden von Dollar die Medienlandschaft dominiert. Doch nach dem für das Königreich finanziell sehr belastenden Krieg zur Befreiung Kuwaits 1991 begann eine Phase scharfer Sparmaßnahmen.
Als die britische BBC 1996 darauf bestand, einen kritischen Film über das saudische Königreich zu senden, kündigte Riad einen Vertrag, mit dem sein Orbit-Kanal den neu gegründeten arabischen Dienst des BBC-Fernsehens finanziert hatte. Die Fernsehstation stand zum Verkauf und Katars Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani ergriff die Chance, mit Hilfe dieses Senders eine eigenständige Rolle in der Region aufzubauen. Er kaufte die Station und übernahm einen großen Teil des hochprofessionellen arabischen BBC-Teams.
In kürzester Zeit stieg „Al Dschasira“ zum erfolgreichsten und effizientesten arabischen Informationsmedium auf, das zeitweise an die 30 Millionen Zuschauer anlockt. Durch Live-Berichte und Interviews unterläuft „Al Dschasira“ eine möglich Zensur und bemüht sich regelmäßig, oppositionelle, widersprüchliche Meinungen zu Wort kommen zu lassen.
(aus „Mitteldeutsche Zeitung“ vom 12.10.2001)
http://www.mz-web.de[ 14. Oktober 2001: Beitrag editiert von: DigiSven ]